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Im Herzen schwimmen blaue Fische

 


 

Die letzten Erwachsenen mit Neptun im Wasser: Die wilde 13 ist wieder da  

Jetzt ist unsere Zeit. Neptun in den Fischen weckt uns auf. Dieses andere Sein öffnet die unterirdischen, überfluteten Tore, den Ort, wo all das lagert, was wir ein Leben lang gespürt haben und selten, so selten, greifen konnten. Es war einfach nicht die Zeit dazu. Seit Fische-Herr damals, vor vielen Jahren, in den Schützen wechselte, waren wir nicht mehr "in tune". Die Nabelschnur abgeschnitten. Die Augen verbunden. Aufrichtig bemüht, aber stets nah am Scheitern. So sind wir die geworden, die mit den Wirklichkeiten tanzten und oft an deren Kreidefelsen zerschellt sind. Ich rede von uns. Von mir, von dir. Der letzten Generation lebender Erwachsener, die Neptun im Wasser hat. Nun sind wir, diesmal wir, wieder ganz nah dran. Etwas plätschert, etwas rauscht, etwas sprudelt. Wir kommen endlich nach Hause. 

Am Heiligabend 1955 wanderte Neptun seinerzeit in den Skorpion. Aber erst seit Spätsommer 1957 hielt er sich dauerhaft dort auf. 13 nahe, spürende, intensive, träumende Jahre lang. Es war leicht. Es war schwer. Es war alles. Das hat uns geprägt. Die wilde, wilde 13. 

Einmal war alles ungeteilt. Im Aquarium meines Herzens schwimmen immer blaue Fische. Ein Tropfen, ein Rinnsal, ein Bach, ein Teich, ein See, ein Fluß, ein Strom, ein Meer, ein Ozean. Pantha rei. Alles fließt und nichts bleibt. Eigentlich fing für uns immer alles mit allem an. Weil wir es fühlen konnten, noch bevor wir denken lernten. Ich kann mich an den Schock erinnern, als ich mit elf, zwölf, dreizehn Jahren spürte, dass etwas zu fehlen begann. Dieses andere Empfinden schlich sich ein - ein schwaches Gefühl. Creeping. Wie es ganz sacht nieselt. Anders als die großen Platzregen, die einen im Sommer aus dem Nichts überkommen. Alles auf einmal so wichtig, schnell und groß. Neptun im Schützen. 

Dinge, Menschen, Situationen wurden unmerklich klarer, schärfer. Ecken und Kanten tauchten aus einem warmen, satten Nebel auf. Viel sagen, wenig tun. Gleichzeitig ließ mein Sehvermögen nach. Ich wurde kurzsichtig. Im wahrsten Sinne. Neptun war aus seinem Element Wasser ins Feuer gewechselt. Buchstäblich eckte ich, mit meiner alten Sicht auf etwas Neues, an allem an. Der Zusammenstoß mit dieser anderen, dampfenden Realität, die plötzlich in die Verschwommenheit der frühen Jahre knallte, war schmerzhaft. Seitdem trug ich eine Brille. Man hielt das für notwendig. Das Kind sah nicht. Das Kind musste endlich hinschauen lernen.

Wasser und Feuer macht Dampf. Tu dies. Tu das. Dann kocht etwas über. Etwas anderes ist vorbei. Keiner sieht das, in der Zeit, in der wir fremd wurden.

Im Aquarium des Herzens schwimmen die blauen Fische. 


Mit Neptun im 12. Haus, in seinem Element, hatte das Kind "Gesichte". Es konnte Gesichter lesen und Stimmen hören. Manchmal hatte es Angst. Geheimnis, das an Klarheit stößt. Fenster, die geschlossen bleiben. Seit 1970 war da dieses merkwürdige Empfinden von Trockenheit in, nicht auf der Haut. Monatelang dachte ich, ich hätte etwas verloren. Manchmal träumte es mich. Von großen, grauen Walen. Ich erinnere mich, wie ich sie viel später, in den 80ern, zum ersten Mal singen hörte. Diese andere Musik, die ich in der Wohlthat'schen Buchhandlung in der Kantstraße in Berlin fand. Eine Zeit, in der ich sehr allein war. Die Stadt geisterhaft groß. Neptun war in den Steinbock gelaufen. Er stand gegenüber meiner Venus. Zwischen Autos, eingetaucht in den Schacht der endlos tiefen Rolltreppe zur U-Bahn, schaltete ich den Walkman an. Ich habe so weinen müssen.

Noch beim Auftauchen, zwischen Bussen, Geschrei, einem wahnwitzig blauen Himmel über dem Hermannplatz, wo das viele Licht fast klirrte, als das Leben es rammte. Der Rest war fühlen, erinnern, wiedererkennen. Ein Schiffsdock aus versunkenen, goldenen Städte. Einhörnern, die mit Sirenen wandern. Irgendwo. Im Nirgendwo. Menschen, die einen ansehen, warten, während man ihre Rituale zu verstehen versucht. Erklär mir dies. Sag mir das. Wo jenes befremdete, ewige Du, Odysseus ohne Wasser-Neptun, sich vor all dem gefesselt die Ohren zuhält. Er darf ja nicht springen. Er darf ja nicht folgen. All das schwang in dem Singen der Wale. All das hat etwas gewußt. Was ich nie vergessen hatte. Das, was sich nun bewegte.

Wie erschrocken ich war, mehr als ein Jahrzehnt danach, als ich die Planetentöne zum ersten Mal hörte. Die Wale wieder erkannte. Heraklit. Verbindungen: Ganzes und Nichtganzes, Zusammengehendes und Auseinanderstrebendes, Einklang und Missklang und aus Allem Eins und aus Einem Alles. Neptun. Im Aquarium meines Herzens schwimmen immer noch blaue Fische. Vor all der Konfusion, die Vernetzung und abhängiges Entstehen bedeuten, haben wir nie kapituliert. Auch nicht vor dem Unverständnis, das in uns selbst, für uns selbst in diesen Jahren oft aufkam. Wiederum viel später.

Kurz, nachdem ich einen kleinen Jungen bekommen hatte, öffneten sich Formen und schlossen sich wieder. Neptun, kurz vor dem Sprung, in den Wassermann. Die letzten Züge des Saturn. Mein Kind war eine Erinnerung an das, was ich verloren hatte. Es brachte Neptun auf seiner Sonne mit. Setzte mir seinen Neptun auf den Mond. Manchmal war das Wiedererkennen so groß, die Mauer so hoch, zwischen dem, was Neptun im Haus der Mysterien mir sagte, und dem, was er nun, im Steinbock, an Begrenzungen wegzuschwemmen hatte, dass ich fast daran zerbrochen wäre. Nachts hört man es rufen. 

Kannst du dich entsinnen? Siehst du es? Ist es wirklich? Nein: Ist es wahr? Die Neptun-Frage. Erinnerst du dich, wie das war, als alles wahr war? Ja, ich kann. Kannst du träumen, wie wahr es wäre, Mama, wenn diese Wahrheit, die wir denken, unwahr wäre und das Wahre, der Traum, das ganze Leben bis in die Ecken ausfüllte? Natürlich kann ich. Ich habe Neptun im Wasser. Das ist, was ist. Das einzige, was war. Hör zu, hör mir zu! sagte mein kleiner Junge mit sechs Jahren. Alles ist nichts und nichts ist alles! Verstehst du das, Mama? Verstehst du das? Nie werde ich vergessen, wie ich irgendwann geantwortet habe: Hör du mir zu. Mach deine Hausaufgaben.

Neptun im Steinbock ist. So hart, ein Kristall der Schuld. Man wird es nicht los. Er macht Zeit unendlich. Schuld bleibt. Bleibt. Damals, jetzt und immer. Als er das nächste Zeichen, Luft, mit seinem langen Atem berührte, verwirrten sich die Dinge noch mehr. Acht Faktoren in meinem fixen Kreuz, die er kreuzte. Vielleicht war es da, als ich endgültig das Geheimnis verlor. Als die Welt diese einzige, kühle, spröde Erfindung eines Geistes wurde. Wessen Geist war das? Deiner? Meiner? Leute lachten, sprachen, kamen, gingen.

Jahre, gedehnt und gerafft. Das Drama des Nicht-Verstehens. Turmbau zu Babel. Neptun im Wassermann ist, wenn es reißt. Wir haben früh Hesse und Rilke gelesen. Hesse und Rilke lesen war nicht mehr Hesse und Rilke lesen. Sie wurden unmodern, wir wurden unmodern, wir sind von Schütze-Neptun zu allererst links überholt worden. Am Wasser stehen und in die Tiefe sehen, hieß, zu spät zuhause ankommen. Und die farbige, bunte, religiöse Welt der Medien nicht mehr richtig zu genießen. Steinbock-Neptun schob uns die Formen-Verbote an. Wassermann-Neptun brach all das wieder auf. Wir sahen. Wie es verging. Wann immer Sehnsucht untergeht, ist dann. Inmitten all den fortgeplauderten Schmerzen. Luft und Wasser wird Soda. Das Prickeln. Leer, wie: leer. Nicht wie leer. Das, was wir kennen und kannten. 

Damals haben wir viel über Neptun gesprochen. Die Neptuniker und die Uraniker. Was eigentlich ist. Wer eigentlich war. Was, wo, wie eigentlich sein sollte. Wie eigentlich die Wahrheit sein sollte. Wenn sie sein würde. Wem ihr Fehlen zuzuschreiben ist. Wer lügt. Wer log. Warum Liebe Wahnsinn wird. Auch Uranus stand in den Fischen. Alles mit allem überkreuz. Und darüber und darunter die grandiosen Wellen von Geist, Mind, Klugheit, Wissen, die sich am Kamm überschlagen und danach das hinterließen, was Neptun auch noch ist. Nichts. Wie: nichts. Nicht wie: Nichts. Das, was wir kannten. Wenn aller Sinn schwindet. Wie unendlich schwer in Zeiten überhöhter Bedeutung. Die Jahre der heiligen Narren. Die Jahre von Verlieren und Abkoppeln. Die Jahre der Neptun-Losigkeit. 

Besonders damals beschworen sie ihn alle. Besonders gut: Neptun. In jedem Zeichen spricht er davon, wer, was, wie er als Funke ( = Feuer), Faktor ( = Luft) oder Fazit ( = Erde) ist: Schall und Rauch. Das Königsreich aus Schmutz. Verlorenheit, Schmerz und Betrügerei. Aber auch der endlose Gang durch die Gewässer. Die Oberfläche still, so still, so lange er durch fremde Elemente segelt. Im Aquarium. Meines Herzens. Schwimmen immer noch. Die blauen Fische.

Wie viele ich missverstanden habe. Wie viele mich missverstanden. Was an nicht Rückholbarem daraus entstanden ist. Wo überall die Gleichung von Empfindung = Bedeutung nicht aufging. Wieviel zog. Wieviel zerrte. Wie viele Scherben dem Scorpio-Neptun der Wassermann schenkte.

Wieviel Verlust. Aufgeben. Opfern. Zerrissene Bilder. Zerfetzte Ahnung. Jede Verletzung eine Chance. Jede Abstraktion ein Aufruf zum Merken. Jedes Anders-Sein im Gleich-Werden mit anderen ein Verrat an der Tiefe des Selbst, das so lange unspürbar blieb. Skorpion, die Vorstellung, die zu Schütze, der Vision, die zu Steinbock, der Manifestation, die zu Wassermann, der Brücke zum Erleben wurde. Dann, wenn es besonders wund war. Wir, mit dem Neptun im Wasser, in jenem festen Wasser, mussten vorstellungslos werden. Die Reise, bei der sich Konzept auflöst, bis es in Wahrheit mündet. Was für ein irrwitzer U-Turn. 

Und dann, ganz langsam. Der zarte Ton. Schwebend zeigt es sich wieder: Der feine, sanfte Nieselregen, der nie plötzlich niedergeht. Am 3. Februar ist Neptun endgültig heimgekehrt. Für viele, viele Jahre. Einige von uns werden das Ende dieser neuen 13 Sonnen-Umläufe, die neue Kinder mit neuem Wasser-Neptun hervorbringen, nicht mehr erleben. Bis dahin können wir der Radar sein. Auf den verbrannten Böden unserer vergessenen Kindheit tanzen. Da, wo sich alles plötzlich wirklich anfühlt. Erinnerung, Erlebnisse, Töne, Berührungen, Verleugnungen, Schönheiten und Schmerz. Das Bittere, das wir immer mit dem Süßen genommen haben. Schemenhaft, weich, verbunden.

Manchmal war es am Anfang, in diesen ersten, ungewöhnlichen Wochen seit da, wie eine eigentümliche Veränderung der Haut. Innen und außen. All das, was sich mit einem Mal wieder geschmeidiger, feuchter, leuchtender, tiefer anfühlte. Die goldenen Städte. Die verlaufenen Einhörner. Die Gewässer des Alles, die ins Nichts führen und endlich auch wieder zurück. Es ist jetzt ein Ahnen da, kein Zweifeln. Verlorenes bindet sich, knüpft im vergessenen Gewebe der Zeit an eine alte Stimme an. Manche können wieder weinen. Manche sagen, dass sie ihn sehen, den großen, grauen Wal, der uns durch die Stationen der fremden Elemente Neptuns begleitet hat. In der Fremde. Ohne dass er sich je zeigte. Er war in unserem Herzen. Er kann ja nicht fliegen, nicht laufen, nicht brennen. Er schwimmt. Nun schwimmt er mit uns nach Hause.

Mein Sohn, der Junge mit dem Neptun eng an der Sonne, wird ausgerechnet morgen erwachsen. Mit ihm verlasse ich die Höhen des Schütze-Neptun, die zu Mühen der Ebenen im Steinbock wurden und zu den alles zerbrechenden Crashs im Wassermann. Das Kind, der Junge, er hat ihn, wie viele andere, die auch nicht mit Neptun im Skorpion geboren sind. Den Crazy Mind. Das Sehnen. Das Spüren, Das Suchen und sich Verleugnen und schließlich wiederfinden. Wir sind ja nicht die einzigen, sind damit nicht allein.

Aber da, wo Neptun in uns besonders stark ist - nie in der Welt, nur darunter, darunter - bleiben wir immer die, die in all ihrer Schuld und den Schulden (und davon haben wir viele) unschuldig geblieben sind. Selbst wenn wir uns an Dogmen, stillschweigenden Systemen, unseren allgegenwärtigen Konzepten, berauscht und selbst verheizt haben. Am Verbot, Tabu, das Neptun auf alles legt, was sein Zeichen bebildert. Du sollst dir kein Bild machen. Neptun. Im Skorpion. Denn die Bilder machen dich.

Ich liebe dich, denke ich. Und wie ich dich gehasst habe. Ich sehe jetzt, heute, hier, so viel. Puzzle um Puzzle. Die zerbrechlichen Ränder von Wirklichkeit. Die Schemen und Schatten und Glätten und Kanten dahinter. Auch den Selbstbetrug, den wir, gerade wir, so gut kennen, in all seinen Masken. Während du, ich, wir, mit dieser Stellung jede fremde Verschwommenheit im Käfig der Vorstellungen wie Minensuchhunde aufspürten. Sie anprangerten und vergaben. Wir, die Lügner, Betrüger, die Sehnsüchtigen, die ewig Suchenden unserer Zeit.

Etwas schwemmt die Türen auf. Bilder entstehen und vergehen. Wir rasen im Kreis. Unsere Jahre dehnen sich. Bis dahin, wo wir am Anfang ankommen. Wir sind so nah dran. Wir können es fühlen. Verwirrt, weil wir Neptuns Stationen seit damals als Gepäck in uns, mit uns, über und unter uns tragen. Aber wir finden heim. So viel daran kann wehtun. Siehst du das, spürst du das? Kannst du es hören? Immer noch singen die Wale. Ihre Stimme der ewige Ton im Ohr. Das Sirren, der Planetenklang. Im Aquarium unseres Herzens schwimmen sie, die blauen Fische. Glas splittert. Etwas geht auf. Jetzt. Jetzt. Wir sind die wilde 13. Wir sind wieder da. Mehr denn je ist es dieser Moment, der einzige, den wir haben. Nichts. Alles. Unser Wasser. Unser Boden, der nie einer war. Wir lernen wieder. Wir sind. Damals, heute und immer.

Bilder (bearbeitet): Michael Melgar, via Wikimedia Commons